Maria breit

Um es mal in einem Idiom zu sagen, das Ludwig Wittgenstein die normale Sprache nannte, ich fahre morgen nach Solingen und übermorgen nach Mönchengladbach. Richtiger müsste es natürlich heissen ich werde … fahren oder noch richtiger ich beabsichtige … zu fahren.

Jedenfalls plane ich, nach einem Geschenk-Weineinkauf-Halt bei der Winzergenossenschaft Achkarren am Kaiserstuhl gleich nach Frankreich rüber zu fahren, nach Marckolsheim, und dann auf der französischen Autobahn A35 über Strasbourg Richtung Haguenau und weiter auf die linksrheinische A61 über Alzey und Köln nach Solingen.

Meine beiden Schwestern haben, mit sechs Jahren Abstand voneinander, am gleichen Tag Geburtstag. Dieses Jahr feiern sie gemeinsam den 60. der jüngeren in grösserem Kreis.

Ich fahre alleine zur Feier bei Mönchengladbach. Meine Ehefrau hat den Quereinstieg in meine Familie noch nicht so ganz geschafft, wenn sie es denn überhaupt will. Sie kennt meine Geschwister, Kinder und Enkelkinder, aber auf so familiäre Grossveranstaltungen ist sie nicht sonderlich erpicht. Was ich durchaus nachvollziehen kann, wie ich überhaupt die meisten Entscheidungen meiner Liebsten akzeptiere und verstehe.

Die Solinger Mitgeburtstagsschwester hat mir nicht nur Übernachtung angeboten, sondern auch Mitfahrgelegenheit mit ihr und ihrem Freund nach Mönchengladbach. Ich überlege allerdings noch, ob ich die 50 km nicht doch lieber mit dem eigenen Auto fahre. Nicht weil ich mich in so einem Gross-Porsche vielleicht nicht so besonders wohl fühle, sondern eher, um alleine wieder aufbrechen zu können, wenn mir danach ist.

Rumersheim-le-Haut

In Rumersheim-le-Haut (F)

Ich spielte schon kurz mit dem Gedanken, einen kleinen Abstecher nach Köln zu machen. Ich würde gerne mal in der St. Pauls Kirche in der Vorgebirgsstrasse, wo ich damals Messdiener war, nachsehen, ob sie noch immer da steht, die Statue „Maria breit den Mantel aus“.

Sie wurde von der damaligen Küsterin immer nur in der Kurzform genannt, wenn diese anschliessend in der Sakristei durch Schütteln der Sammelbüchsen prüfte, welche am schwersten wog und wer somit „dä Vurel affjeschoss“ (den Vogel abgeschossen) hatte. Des Öfteren war ich es. Ich stand am Ende der Messe immer gerne vor Maria breit.

Wir werden sie wohl ein andermal und zu zweit besuchen.

Eintrag Milou über „Besuch bei Maria für Schreibman“

Eintrag Milou mit Fotos von „Maria breit“

Kinder! Heim!

Egal, wer oder was jetzt dahintersteht: Ob es fast Food-Konzerne, Bauern oder irgendwelche Spekulanten sind – es ist einfach nicht zu fassen.

Da fackeln die Brasilianer riesengrosse Teile des Amazonas-Regenwalds ab. Inzwischen machen das schon andere Regierungen wie die französische unter Emmanuel Macron zum Thema und auch auf dem G7-Gipfel in Biarritz soll es irgendwie erörtert werden.

Ob viel dabei rumkommt, kann wohl mit Fug und Recht bezweifelt werden. Die brasilianische Regierung geniert sich nämlich nicht, sich über Einmischung anderer Länder zu beschweren. Wobei sie kaltschnäuzig die Tatsache verschweigt, dass die brasilianischen Waldverbrenner die grösseren Einmischer sind. Dieser riesige Brand hat jetzt schon Einflüsse auf das Weltklima und ist damit keine rein brasilianische Angelegenheit mehr.

Was das Klima betrifft, von dem wir täglich erfahren, wie es sich weiterhin verschlechtert, also weltweit und nicht nur durch brasilianisches Feuer erwärmt wird, kann niemand mehr die Wirkungen leugnen, die Greta Thunberg bereits erzielt hat. Seit ihrem Auftritt auf der Weltbühne ist tatsächlich einiges in Bewegung geraten.

Auch wenn einige Spiesser, Klimaleugner oder kleinkarierte Geister wie ein gewisser Jan Fleischhauer – er spricht und schreibt pausenlos in mehreren Medien von Kinderaugen, Kinderherzen, Kinderbewegung – sich nicht entblöden, ausführlich auf eine vergleichsweise unbedeutende Tatsache hinzuweisen. Dass nämlich Gretas Segeltour nach New York auch nicht ganz ohne CO2-Emissionen stattfindet. Weil Begleitmaterial und Presseleute und anderes Personal mit dem Flugzeug wieder heimfliegen müssen.

Solchen geistigen Tieffliegern gehört vor allem eins: heimgeleuchtet.

Tot beim Edeka

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Zum Thema Tod des Autors ist mir noch was ganz Wichtiges eingefallen.

Wenn man einen Text liest, ist der Verfasser desselben im Prinzip wie tot. Das heisst, man liest den Text anders, wenn man weiss, dass der Autor noch lebt als wenn man das nicht wüsste. Und man hat sogar noch die Möglichkeit, sich an den Verfasser zu wenden und ihm ein Feedback zu geben.

Wenn man als Leser weiss, dass der Autor tot oder sonstwie unerreichbar ist, hat man immer auch ganz andere Gedanken als beim Lesen eines Textes, zu dem man noch beim Autor intervenieren kann.

Beim Lesen von Schriften toter Autoren kann man sich ja einfach sagen „Na ja, so war das halt damals, heute denken wir ganz anders darüber, die Welt hat sich inzwischen ja auch weiterentwickelt“.

Ganz anders ist es beim Lesen von Anmerkungen oder Texten jeder Art von Personen, die man entweder kennt oder von denen man weiss, dass sie noch leben und dass sie auf mein Feedback auch wieder antworten können.

Man kann mit ihnen in einen Dialog treten und als Antwort auf eine schriftlich formulierte Darlegung behaupten, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Oder man kann ihnen zustimmen oder sie ergänzen und damit signalisieren „Ja, im Prinzip denke ich genauso“.

Ich muss jetzt leider darauf hinweisen, dass jeder Autor eines irgendwie gearteten Textes praktisch schon so gut wie tot ist. Denn der Text, den ich lese, steht erstmal auch ganz alleine für sich da, ohne dass ich etwas über den Autor wissen muss.

Die Gedanken, die man sich beim Lesen eines Textes macht, können sehr weit auseinanderklaffen, je nachdem, ob man den Autor kennt oder ob man wenigstens weiss, wie man zu ihm steht, und ob er tot ist oder nicht und ob man sich möglichenfalls auf ein Streitgespräch mit ihm einlassen möchte oder nicht.

Ein und derselbe Text kann also bei jedem einzelnen Leser andere und grundsätzlich zuwiderlaufende Gedanken und Reaktionen hervorrufen. Obwohl er von ein und demselben Autor verfasst wurde und obwohl oder weil dieser schon verstorben oder noch quicklebendig ist.

Der Text, den er abgesondert hat, macht ihn insofern zu einem toten Autor, als er keinerlei Einfluss mehr darauf hat, wie sein Text verstanden werden soll.

Fiel mir grade so auf dem Parkplatz vom Supermarkt ein.

Link: Tod des Autors

Mittag bei Maria

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Am 15. August werden in Bayern die Kräuter und in Belgien die Schiffe gesegnet. Es ist der Feiertag Mariä Himmelfahrt.

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Wir waren am heutigen Sonntagmittag in der Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt in Ehrenkirchen-Kirchhofen, gut 20 km von uns daheim entfernt bei Freiburg, die auch eine Station des Jakobswegs ist.

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Pilger können sich hier einen Stempel in ihr Heftle machen und Gläubige aller Art notieren ihr Anliegen in einem dicken Fürbittenbuch.

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Tagebuch? Denkste!

Uneigentliche Verzweiflung
Wenn ich in einem Film eine Kuss-Szene oder bestimmte Mimiken und Gesten sehe, frage ich mich seit einiger Zeit immer öfter etwas ganz Bestimmtes. Hat der Regisseur dem Schauspieler genau gesagt oder vorgemacht, was er oder sie tun soll? Welche Grimasse oder was für einen Blick oder Augenaufschlag? Oder müssen die Akteure kreativ sein?

Letzteres mit Sicherheit auch. Aber auf den richtigen Anlauf kommt es an. Und die Einstellung der Protagonisten. Sie müssen innere Distanz zu ihrer Rolle behalten, sonst stürzen sie ab. Oder anders gesagt:

Kurzparabel à la Kafka: Es gab eine Schauspielerin, die so talentiert war, dass sie alles spielen und sich sogar, wenn verlangt, fliegend als Taube durch den Luftraum bewegen konnte. Als man sie tatsächlich für eine Rolle aufforderte, über der Bühne umherzufliegen, tat sie das, stürzte jedoch im nächsten Moment ab, nicht, weil ihre Fähigkeiten versagt hätten, sondern weil sie im Moment des Fliegens begriff, dass sich ein wirklich talentierter Schauspieler immer einen Rest Zurückhaltung auferlegen muss, um nie völlig in der Rolle aufzugehen, wie sie es mit Leichtigkeit gekonnt, jedoch nur ein unbegabter Laienspieler umgesetzt hätte. (Frank Witzel, „Uneigentliche Verzweiflung“)

Das „Metaphysische Tagebuch“ des Autors, den ich soeben für mich entdeckt habe, ist kein Tagebuch im üblichen Sinn. Es fehlen genaue Orts-, Zeit- und sonstige Angaben, die für den Leser eh nicht sehr interessant wären. Es ist vielmehr ein Denk-Buch, das sich mit Gedanken über das Denken befasst. „Denken, weil ich das Fühlen nicht ertrage. Schreiben, weil ich das Denken nicht ertrage.“

rodin penseur
Der Denker von Rodin denkt nicht. Man kann nicht im luftleeren Raum denken. „Er sinniert vielleicht, versucht einen Entschluss zu fassen.“

Denken und Handeln schliessen sich in gewisser Weise aus und Gedanken verflüchtigen sich wieder, wenn man sie nicht in eine Tat umsetzt. Oder in schriftlicher Form festhält. Dann geht die Veränderung weiter, sei es in einer praktischen Anwendung oder es erfolgt, um mit Heinrich von Kleist zu sprechen, „die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Oder beim Schreiben.

Ich bin beim Lesen und Be-Denken des mir schon sehr liebgewordenen Buchs erst auf Seite 46. Und da zitiert der Autor den Verfasser der „Pensées“, Blaise Pascal: „Tout le malheur des hommes vient d’une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos, dans une chambre.“ („Alles Unheil kommt von einer einzigen Ursache, dass die Menschen nicht in Ruhe in ihrer Kammer sitzen können.“)

„Um zu verstehen, was es mit unserer Existenz auf sich hat.“