Seltene Erde

Als ich neulich zu Fuss mit dem Radl nach Berlin, nee Quatsch, ich fuhr mit dem Auto nach Fessenheim. Von Neuenburg über Chalampé auf der französischen Rheinseite, mit dem Verbrennungsmotor zum ältesten Kernkraftwerk Frankreichs.

Es befindet sich am Rheinufer eines elsässischen Dorfs, in dessen Supermarkt man mit der Kassiererin noch ein paar Worte wechseln kann, statt einfach durchgeschubst zu werden. Der Atommeiler soll jetzt zurückgebaut werden. Dafür entstehen überall in der Welt neue, modernere und grössere.

SAMSUNG CSCWährend der Fahrt verdichtete sich mir die Erkenntnis, dass man nicht gleichzeitig gegen alles sein kann. Gegen den Betrieb von Nuklearkraftwerken, gegen den Abbau von Braunkohle, gegen die Förderung von Erdöl, gegen die Gewinnung von seltenen Erden und gegen den Ausbau der Windenergie. Woher soll der Saft denn bitte kommen?

Die aktuellen Tendenzen zeigen alle in die falsche Richtung. Flugzeuge steigen in den Himmel, der Gütertransport per LKW auf den Autobahnen steigt ständig und der Verkauf von SUVs stieg in den vergangenen Jahren auf das Doppelte.

Mit all dem müssen wir leben. Unsere Entscheidungen treffen wir weniger durch Wahlen, sondern – gewollt oder ungewollt – immer mehr beim täglichen Einkauf. Immer fördern wir Lobbies, von der Plastiklobby über die Fleischmafia bis zum Kaffeekartell.

Das Herumflicken an der sich verschlechternden Klimasituation / Klimakatstrophe ist fast schon aussichtslos, aber auch alternativlos.

Während wir früher vielleicht dachten „Nur keine Aufregung!“ müssen wir heute rufen

„Nur keine Ruhe!“

21 Gedanken zu “Seltene Erde

  1. Ich finde, dass wir die großen Linien rationaler ziehen müssen. Verheizen von fossilen Brennstoffen schädigt unsere Welt substantieller und fordert mehr Todesopfer, zerstört größere Lebensraumflächen für Menschen als Atomkraftwerke. Das mag manchem nicht passen, weil er „aber trotzdem Angst hat“. Wir müssen das kleinere Übel wählen, ohne es mit dem Angst-Faktor zu multiplizieren. Aber bei Kohle und Öl gegen Uran gilt vielen: „Ich habe mir meine Meinung gebildet, verwirren Sie mich nicht mit Fakten.“

    Ich hab‘ auch keinen Bock auf Kernkraftwerke und Endlager, aber technisch gesehen habe ich viel mehr Angst vor dem unbewohnbar Werden von großen Landesteilen durch Klimawandel, Ansteigen des Meeres und Dürre als vor dem verhältnismäßig überschaubaren Bereich, der durch Tschernobyl und Fukushima für begrenzte Zeit (~300 Jahre) unbewohnbar wurde. Beim Klimawandel und Meeresspiegelanstieg kommen wir nicht so glimpflich weg und das geht auch nicht mehr weg.

    Dass jeder Einzelne, so aussichtslos es aussehen mag, anfangen muss, in seinem Leben, unterstütze ich voll. Und hier gilt: Lieber ein kleines Licht anzünden als die Dunkelheit verfluchen (und gar nichts tun). Das war übrigens frei nach Konfuzius 🙂

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    • Glaub, ~ 350 Jahre ist die Halbwertzeit eines atomaren Elementes. Unbewohnbar dürfte eine verseuchte Region um ein Vielfaches an Zeit sein. Wobei ich mich damit seit den Achtzigern nicht mehr befasst habe, und darum kann ich mich auch irren.

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      • Ich versuch’s mal, ein bisschen in die Thematik reinzugehen.

        Langlebig sind die Transurane, die durch Neutroneneinfang entstehen. Das sind aber schwerlösliche Schwermetalle, die bei Unfällen und bei kompromittierter Endlagerung äußerst schwer bis gar nicht freigesetzt werden – sowohl bei wasser- als auch bei luftgetragener Freisetzung. Die bleiben also auch in kaputten Fässern und kaputten Reaktoren drin und kontaminieren daher keine größeren Flächen. Bei den Transuranen sind 350 Jahre Halbwertszeit allerdings schon sehr niedrig gegriffen, die sind wesentlich langlebiger. Plutonium-239 hat beispielsweise eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren.

        Spaltprodukte sind teils sehr flüchtige Elemente. Da gibt es Isotope der Elemente Cäsium, Iod, Strontium und dergleichen. Das sind die üblichen „Leitnuklide“. Man fasst hier Gruppen zusammen, die ähnliche chemische Eigenschaften und ähnliche Halbwertszeiten haben und nimmt ein typisches davon als Leitnuklid, um die Verbreitungseigenschaften durch Wasser und Luft abzuschätzen. Die Gruppe um Cäsium und Strontium hat Halbwertszeiten um die dreißig Jahre. Dieses „Zeug“ hat realistische Chancen, sich bei Kernkraftwerksunfällen über Luft und Wasser, bei kompromittierten Endlagern über das Wasser „aus dem Staub“ zu machen. Eine Halbwertszeit von 30 Jahren bedeutet auch, dass die Aktivität (und zugleich die Menge des radioaktiven Elements) nach 300 Jahren um den Faktor 1000 (2 hoch 10 ist 1024) abgefallen ist. Wenn also durch die – für Spaltprodukte relative langlebigen – Nuklide um das Leitnuklid Cäsium-137 die Radioaktivität im Bereich eines Kraftwerksunfalls um 250% gegenüber der natürlichen Radioaktivität erhöht ist, sind’s 300 Jahre später noch 2,5% Erhöhung. Ich weiß, dass man auch vor 2,5% Erhöhung gegenüber der natürlichen Radioaktivität Angst haben kann, aber diese Angst ist nicht rational. Natürliche Radioaktivität richtet genau dieselben Schäden an wie künstliche, und wir sind an den Grundlevel an natürlicher Radioaktivität angepasst, sonst könnten wir auf dieser Erde gar nicht leben. Weltweit schwankt der Grundlevel an Radioaktivität weit stärker als die genannten 2,5%, schon allein zwischen Hamburg und dem Erzgebirge dürfte es ein Faktor zwei sein, den die natürliche Radioaktivität unterschiedlich ist.

        Die im akuten Kraftwerksunfall auftretende, hohe Radioaktivität kommt durch neue Spaltprodukte – wie zum Beispiel Iod-131. Das hat eine Halbwertszeit von acht Tagen und steht repräsentativ für eine Gruppe von hoch-flüchtigen, luftgetragenen Radionukliden mit kurzer Halbwertszeit, damit direkt nach dem Unfall wirklich hoher Aktivität und Dosisleistung. Durch Iod-131 und Konsorten kann schonmal nach einer Freisetzung eine Erhöhung um Faktor 100 oder mehr gegenüber der natürlichen Radioaktivität auftreten – im Bereich direkt um Tschernobyl war’s sogar noch mehr. Aber die Menge fällt (beim Iod-131 mit seinen acht Tagen Halbwertszeit) alle 80 Tage um einen Faktor 1000. Da die Kernspaltung des kompromittierten Reaktors dann ruht (zerstörte Reaktoren KÖNNEN gar nicht weiter Kernspaltung machen, sie erzeugen zwar Nachzerfallswärme und viele weitere Probleme, aber keine neuen Spaltprodukte, da die kritische Anordnung zerstört ist) wird’s eben tatsächlich beim Iod-131 alle 80 Tage einen Faktor 1000 weniger. Nach einem Jahr (320 Tage sind 40 Halbwertszeiten, das ist ein Faktor von einer Billion, dazu nochmal fünf Halbwertszeiten in 40 Tagen, Faktor 32) findet man selbst mit wissenschaftlichen Methoden nix mehr.

        Das Problem sind also die mittellanglebigen, die sich gut verbreiten lassen. Die haben Halbwertszeiten zwischen einigen Jahren und maximal 100 Jahren. So komme ich auf eine Unbewohnbarkeit von einigen hundert Jahren. Ein hypothetisches Szenario, in dem aus einem Endlager oder einem havarierten Reaktor große Mengen sehr langlebiger Transurane entkommen – die muss man erstmal in Lösung bringen, so einfach ist das gar nicht, selbst wenn man es forciert! – kann man freilich ansetzen. Das ist aber vergleichbar wahrscheinlich wie z.B. das komplette Abschmelzen der Antarktis und das dauert sicher länger als eine Viertelmillion Jahre, bis das wieder aufgebaut ist. Bei dem Schmelzszenario reden wir über eine Unbewohnbarkeit von mindestens allen Regionen, die weniger als 58 Meter über dem Meeresspiegel liegen. Die Viertelmillion Jahre sind zehn Halbwertszeiten von Plutonium-239, das ich hier mal als „Leitnuklid“ der Transurane angenommen habe.

        Ich hoffe, das war nun nicht zu viel Text. Keine Frage: Ich habe auch Angst vor einem Kraftwerksunfall oder einem kompromittierten Endlager. Aber das sind räumlich und zeitlich begrenzte Folgen von Unfallszenarien, während die Auswirkungen von CO2-Ausstoß und anderen Treibhausgasen Folgen des Normalbetriebs mit fossilen Energieträgern sind und weltweite, durch Kippen des Klima-Gleichgewichts potentiell erdzeitalterlange Auswirkungen haben.

        Sorry für den Vortrag, ich hoffe, ich konnte klarstellen, warum ich vor der (Achtung, Provokation) großangelegten Endlagerung von Treibhausgasen in der Atmosphäre und ihren globalen, potentiell erdzeitalterlangen Folgen eigentlich mehr existenzielle Angst habe als vor den im Verhältnis räumlich und zeitlich eng begrenzten Folgen der Freisetzung radioaktiver Stoffe.

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          • Du musst das nicht alles lesen. Es ist nur ein Angebot. Ich bin Physikerin und arbeite seit neun Jahren im Strahlenschutz – sieben Jahre als Strahlenschutzbeauftragte an einer Uni, ein halbes Jahr bei einem Strahlenschutzberater/-dienstleister und nun seit 18 Monaten bei der Aufsichtsbehörde.

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            • Wow – Du hast Dir soviel Schreibarbeit damit gemacht. Danke. danke, danke Dir! 🙂 Weißt, ich hab zunehmend gesundheitliche Probleme, als Tschernobyl explodierte, bin ich mit meiner dreijährigen Tochter durch den Regen geradelt, um ihren großen Bruder vom Kindergarten abzuholen. Sie hat ihre Anorexie nicht überlebt.
              Seit 1981 riss ich mir den Arsch auf bei den Müttern für den Frieden und hatte weitere ehrenamtliche Betätigungen am Hals. War schon toll. Zu dieser Zeit verschlang ich natürlich alles, was mit AKWs, Umwelt usw zusammenhing, doch inzwischen kann ich nur noch die kleinsten sozialen Semmeln backen …

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              • Da ich beruflich mit Radioaktivität und Strahlenschutz zu tun habe, und mich auch privat dafür interessiere, habe ich das gerne gemacht.

                Insbesondere bei den Langzeitschäden ist der Zusammenhang zwischen (künstlich erhöhter) Strahlendosis und gesundheitlichen Problemen eher schwer aufzuzeigen, weil alle Gesundheitsschäden durch ionisierende Strahlung auch natürlich auftreten – und zumeist, bei den Dosen, die wir in Deutschland (auch 1986 südlich der Donau) hatten, nur wenig gegenüber ihrem natürlichen Auftreten erhöht werden.

                Versteh‘ mich nicht falsch: Ich schließe keineswegs aus, dass Deine gesundheitlichen Probleme durch Inkorporation von Radioiod aus dem Regen aus der Tschernobyl-bedingten Wolke herrühren. Du wärest dann ein eher seltener Fall – und wenn’s nicht die Schilddrüse ist (das hängt damit zusammen, dass durch die Iod-Aufnahme der Schilddrüse unter Aufnahme von Radioiod in den Körper der Löwenanteil der Dosis auf die Schilddrüse wirkt). Aber auch hier war’s an fast allen Orten in Deutschland allenfalls für sehr kurze Zeit mehr als die natürlichen Strahlung, die unvermeidlich permanent auf uns alle wirkt.

                Insbesondere die Initiative zum Schutz vor Radon, die in der neuen Strahlenschutzgesetzgebung integriert ist, dient dazu, jedes Jahr mehr Strahlenbelastung von Menschen zu vermeiden, als der Großteil der Deutschen in dem einen Jahr 1986 abbekommen hat. Nicht, dass dadurch die Schäden durch künstliche Radioaktivität vergangener Kraftwerksunfälle und insbesondere Atombombentests nichtig wird oder die Gefahr durch künftige. Dennoch ist es aber so, dass konsequenter Radon-Schutz wohl mehr Dosis vermeidet, als (zumindest in Deutschland) durch künstliche Radioaktivität außerhalb der Medizin je am Menschen entstanden ist.

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  2. Wenn wir alles richtig machen wollten, müssten wir wieder zurück in die Höhle ziehen – wenn wir weiterhin alles falsch machen, werden wir bald auch zurück in die Höhle ziehen müssen… Also?

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  3. Ich halte den Ausstieg aus der Atomenergie für absolut essentiell und alternativlos. Welcher Staat ist dazu in der Lage 24000 Jahre lang extrem toxischen Müll sicher zu verwahren? Die Mietschuld, die wir unseren Nachkommen, so es denn welche geben wird aufbürden ist nicht zu verantworten. Ja, es hat dazu geführt, dass Kohle und vor allem Wind weiter ausgebaut wurden, was das unmittelbare Klima beeinflussen wird. Man könnte die Frage stellen, ob es bessere Alternativen gegeben hätte, aber das ist nicht hilfreich. Ich plädiere schon lange für die Brennstoffzelle und dadurch mögliche dezentrale Energieerzeugung aber es hört ja niemand auf mich. Ich wohne zwar in Mainz, bin aber kein Rheinländer, dennoch sage ich et kütt wie et kütt und daran kann kein Einzelner etwas ändern.

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    • Öh, ich würde bei der Endlagerung – trotz der Anmerkungen zum Thema „im Verhältnis zur Klima-Änderung durch anthropogene Treibhausgase lokal und zeitlich begrenzt“ bei der Kätzerin, bei der Endlagerung von einer Viertelmillion Jahre ausgehen (zehn Halbwertszeiten Pu-239) statt nur einer von 24000 Jahren.

      Bei den Brennstoffzellen finde ich wichtig, wo Methan oder Wasserstoff dafür herkommen sollen. Wenn wir die unter Verwendung fossiler Energieträger erzeugen, haben wir uns zwar den Zwischenschritt über die Wärme gespart, aber in Sachen „fossilen Kohlenstoff freisetzen“ nicht viel gewonnen …

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        • Also denkst Du an regenerative Energien mit Elektrolyse-Wasserstoff als Zwischenspeicher und Brennstoffzellen zur Rückkonversion in Strom. Das löst das Speicher-Problem, für das Pumpspeicher nur begrenzt taugen, ja. Biomasse für Methan für Brennstoffzellen wäre auch eine Option. Mir war wichtig, dass die Brennstoffzelle ohne Spezifikation, dass der Wasserstoff oder das Methan regenerativ erzeugt wird, noch keine Lösung ist. Erst mit der Vorgabe wird‘s klimaneutral 🙂

          Was ich fordernd finde, ist die Infrastruktur für die Verteilung des Wasserstoffs, da der noch etwas kniffliger zu handeln ist als Erdgas. Der Vorzug einer solchen Struktur wäre aber auch, dass man endlich eine vernünftige, hochskalierbare Lösung zum regenerativen Heizen hätte. Denn Hackschnitzel sind aus meiner Sicht nur eine Nische, die beim Anspruch, Öl- und Gasheizung komplett zu ersetzen, recht schnell an die Verfügbarkeitsgrenze kommen – von Feinstaub-.Überlegungen mal ganz abgesehen.

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  4. Kürzlich habe ich im Zusammenhang mit dem Klimawandel sinngemäss irgendwo gelesen: „Wir können wohl nichts mehr tun. Aber nichts zu tun wäre unehrenhaft und falsch.“ So halte ich es. Ich mache meine kleinen Kompromisse. Fahre nicht Auto, aber esse Fleisch. Und so weiter. Schwieriges Thema, das mit dem Atomausstieg. Aber den Beitrag von Frau Talianna werde ich mir vorknöpfen, sobald ich die Weihnachtsgeschenke fertig eingepackt habe. Liebe Grüsse von Frau Frogg.

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