Die Reitpeitsche

Meine Schwägerin ist jetzt Berufseinsteigerin. Ich denke, dass sie in Zukunft – überall und täglich woanders – Angst und Schrecken verbreiten wird.

Sie kann dann Sätze sagen wie „Entweder Sie geben mir jetzt diese Information oder ich stelle Ihnen die ganze Bude auf den Kopf.“ So in der Art. Oder „Ich kann auch mit der ganzen Kavallerie noch mal wiederkommen. Dann bleibt hier kein Stein auf dem Trockenen.“

Apropos Kavallerie, Angst und Schrecken. Mein Vater war ja Oberst, Pionier, und Regimentskommandeur bei der Bundeswehr. Der war das Befehlen echt gewöhnt. Als er dann im Vollbesitz seiner Gesundheit und seines Tatendrangs pensioniert wurde, wollte er unbedingt noch mal irgendwo im zivilen Bereich einer Tätigkeit nachgehen.

Er hatte, wie man so sagt, keine Ruhe im Arsch, fand dann nur eine Stelle als Bürokraft in einer Versicherung. Dort sei es hauptsächlich darum gegangen, zu knobeln, wer den Kaffee holen muss. Bruderherz trug die Anekdote vom Tod eines Büromitarbeiters in einer anderen Firma vor, der Anlass zu der Frage gab, wer denn jetzt jede Woche den Lottoschein wegbringt.

Auch Bruderherz hat keine Ruhe im Arsch. Er lebt jetzt im sogenannten Ruhestand und reist mehr oder weniger durch die Welt. Letzte Woche trafen wir uns zusammen mit einer meiner Schwestern im Schwarzwald. Da wurden dann so einige Anekdoten wieder vorgekramt und herzhaft belacht.

Bei uns zu Hause hing ja im Flur, zum Zweck der Drohung, immer die Peitsche des Damokles an der Garderobe. Die hatte an einem Ende so eine Schlaufe und wir vier Kinder sehen die heute noch genau vor uns. Oder hinter uns. Auf dem Hintern eben. Und jeder weiß noch, wie er damit gelegentlich verdroschen wurde. Am ärgsten hatte es damals wohl meinen Bruder getroffen.

Der erzählte jetzt auch, was ich damals getan hätte, ohne dass ich mich heute noch daran erinnern könnte. Ich hätte die Peitsche eines Tages vor der Heimkehr des Vaters von der Garderobe genommen und auf einen Schrank gelegt, ausser Sichtweite.

Wie Vater auf die verschwundene Reitpeitsche reagiert hat, ist leider nicht überliefert. Wahrscheinlich blieb eine Fünf in einer Mathe-Klassenarbeit ungesühnt. Man muss ja auch nicht alles können. Und nicht jeder Kommandeur ist auch ein guter Pädagoge.

Meine Schwägerin wird übrigens Steuerfahnderin. Das finde ich echt cool. Es passt zu ihr.

Herzlichen Glückwunsch zur Berufswahl!

Kreis geschlossen

blog

Anlässlich meines 16-jährigen Bloggerjubiläums – 17. April 2003, Jahrhundertsommer, Gründonnerstag, Mutters Geburtstag, erster Tagebucheintrag – heute mal ein spezieller Aspekt meines Lebens.

Mein Vater ist im Alter von 66 gestorben, ich bin jetzt 67. Habe ihn also in gewisser Weise überlebt.

In der Zeit von 1968 bis 1971 war ich ziemlich links, hab an Demos teilgenommen, Schülerzeitung herausgegeben und auch mal kurz mit Rudi Dutschke geredet. Ich war in der Abiturphase und danach kam dann der Wehrdienst beziehungsweise meine Wehrdienstverweigerung.

Das war damals noch eine ziemlich aufregende Sache. Man konnte sich da nicht einfach abmelden, sondern musste seine Gründe genau darlegen. Das durften auch keine politischen Gründe, es mussten moralische sein.

Ich wurde prompt in erster Instanz abgelehnt und musste zu den Panzergrenadieren in der Lüneburger Heide. Nach zwei Monaten Grundausbildung wurde ich dann in zweiter Instanz freigesprochen, also anerkannt. Ich konnte in die Kaserne zurück, meine Sachen holen und dann sofort in meiner Zivildienststelle anfangen, die ich mir schon vorher besorgt hatte.

Ich befand mich aber ständig in starkem Konflikt mit meinem Vater. Er hatte mich schon einmal rausgeschmissen, weil ich nicht zum Friseur gegangen war, und dann hatten wir natürlich eine politische Dauer-Diskussion.

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„Wie stehe ich denn vor meinen Soldaten da, wenn mein eigener Sohn verweigert!“ Also das war eine ziemlich harte Zeit, für uns beide.

Als ich dann später meinen Zivildienst fertig hatte, sagte er: „So, unseren Konflikt vergessen wir, ich hab ja auch gesehen, dass Du kein Drückeberger bist.“

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Was mir heute während einer Autofahrt durch den Kopf ging, war der Gedanke, dass sich irgendwie ein Kreis geschlossen hat. Ich habe doch viel von ihm übernommen, was mir manchmal auch heute erst bewusst wird.

Das fängt mit der Sprache an. Er hatte zu uns vier Kindern immer gesagt: „Lernt Fremdsprachen, damit kommt ihr überall hin.“ Ich habe dann eine Belgierin geheiratet, unsere Kinder sprechen Französisch; meine eine Schwester hat einen Engländer geheiratet und deren Kinder sind zweisprachig aufgewachsen und der eine Sohn heiratet jetzt eine Italienerin. So werden bei unseren Familienfesten immer mehrere Sprachen gesprochen.

Ich habe beruflich als Sprachlehrer, Verkaufsdirektor in einem kleinen Exportunternehmen und dann als selbständiger Übersetzer ganz von meinen sprachlichen Fähigkeiten gelebt.

Den Beruf des Übersetzers habe ich auch immer als den eines Brückenbauers verstanden.

christophorus

Der Schutzheilige der Übersetzer, Dolmetscher und Autofahrer (!) ist ja der Heilige Christophorus, der das Jesuskind auf seinen Schultern durch einen Fluss trägt, weil es eben damals noch keine Brücken gab. Und mein Vater? Er war Kommandeur eines Pionierregiments. Und die Pioniere sind zuständig für Brückenbau, also Pontons und solche Dinge.

Er wäre auch fast noch General geworden, wenn, ja wenn er Englisch gekonnt hätte! Dann hätte er einen Posten in Oslo gekriegt. Darüber ist er nie hinweggekommen.

Eltern

Heute finde ich einfach, dass er viel geschafft hat in seinem Leben. Als Familienvater, Häuslebauer und zuletzt noch als Präsident des Schwarzwaldvereins Wolfach. Sein eigenes Denkmal setzte er sich noch mit dem von ihm gestifteten und seither jährlich verliehenen Petter Pokal für die schönste Wanderung.

Podcast Nr. 13 „Dies & das“ (12 Minuten)

Meine Mitternacht

Das war jetzt gerade ein ganz wichtiger Moment in meinem Leben. Den möchte ich nicht unbedacht vorübergehen lassen. Seit Mitternacht bin ich nicht mehr 66, sondern 67 Jahre alt.

Schon seit vielen Jahren muss ich immer mal wieder an meinen Vater denken, der nur 66 Jahre alt geworden ist. Er starb bald nach der Geburt meiner Zwillinge vor 36 Jahren.

Als junger Mann hatte ich heftige Probleme mit ihm. Er war im Krieg bei der Wehrmacht und zuletzt Oberst a.D. der Bundeswehr.

Ich war anerkannter Wehrdienstverweigerer, hatte allerdings zwei Monate lang an der Grundausbildung als Panzergrenadier in Lüneburg teilgenommen, bis ich meinen Dienst als Zivi fortsetzen konnte.

Wir hatten dann wieder Frieden geschlossen, nachdem ich offziell vom Staat als Wehrdienstverweigerer anerkannt worden war.

Er ruht in Frieden, mein Vater.